« Die Reduktion auf das Einfache »
Woran denken Sie, wenn Sie Finnland hören? An unberührte Natur, glasklare Seen, Polarlichter, ewig helle Sommernächte, Sauna, Trolle, Bären? Vielleicht aber ja auch an finnisches Design, dessen Geschichte noch relativ jung ist, aber das schon längst weltweit geschätzt wird, weil die augenscheinlich so schüchternen und zurückhaltenden Finnen genau wissen, wie man Alltagsgegenstände funktional und gut gestaltet. Und dabei ist bei weitem nicht alles reduziert und minimalistisch. Die neue, junge Designer-Generation arbeitet mit starken Farben, expressiven Formen und auch heute spielt das Handwerk noch immer eine entscheidende Rolle. Dabei sind die Grenzen zwischen Architektur und Design in Finnland fließend. Das zeichnete schon das berühmte Gestalter-Ehepaar Aino und Alvar Aalto aus.
Was ist charakteristisch für finnisches Design?
Vor allem eines: Es ist für alle gemacht und nicht einer elitären Gruppe vorbehalten. Die Produkte sind schön, durchdacht und: bezahlbar. Von den über fünf Millionen Finnen hat fast jeder eine Vase von Aalto zu Hause oder Bettwäsche von Marimekko mit dem peppigen Mohnblumenmuster, das die legendäre Designerin Maja Isola 1964 tatsächlich aus Protest entwarf, weil sie zeigen wollte, dass Blumen auch abseits des wahren Lebens schön sein können. Nicht zu vergessen die Fiskars-Schere mit dem markanten orangen Griff. Kinder wachsen in Finnland ganz selbstverständlich mit Design auf, weil es Teil des alltäglichen Lebens ist und dazu gemacht, es angenehmer und einfacher zu machen.
Natürliche Materialien
Holz, Glas, Linoleum und Keramik sind noch immer die vorherrschenden Materialien bei Produkten made in Finland. Kein Wunder, fühlt man sich doch hier im hohen Norden der Natur ganz besonders verbunden. Sie bietet Inspiration und Rohstoffe. Vor allem Birkenholz verwenden die finnischen Designer ausgesprochen gerne. Denn Birken, der Inbegriff des Neuanfangs, finden im feuchten Boden optimale Wachstumsbedingungen, sind massig vorhanden und machen die Produkte erschwinglich. Apropos Bäume: Dreiviertel der Oberfläche des Landes bestehen aus Wäldern, die zu über 60 % in Privatbesitz sind. Und Holzhandwerk ist in Finnland schon in der Schule Unterrichtsfach.
Handwerkliche Tradition
Zur Naturliebe kommt die zum Handwerk, das in Finnland eine viel größere Rolle spielt als im Rest Skandinaviens. Weshalb die Finnen auch vom nordischen Design sprechen und bitte auch nicht in die Schublade „skandinavisches Design“ gesteckt werden wollen. Da hat die Ostsee offensichtlich tatsächlich eine trennende Funktion. Doch es gibt ein seelenverwandtes Land, das in puncto Formensprache, Handwerkstradition und Melancholie genauso tickt: Japan. Hier besteht ein enger Austausch der Designer und Handwerker beider Länder, aus dem schon so manch spannende Kooperation entstanden ist. Denn die junge Designszene weiß sehr wohl, dass sie sich auf dem weltweit anerkannten Erbe nicht ausruhen darf und flexibel bleiben muss, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können.
Gelebte Nachhaltigkeit
Umweltbewusst waren finnische Designer und Unternehmen schon immer. Sie haben nur keine große Sache daraus gemacht, sondern diese verantwortungsbewusste Einstellung einfach gelebt. Die Materialien kommen aus der näheren Umgebung, die CO2-senkenden Wälder werden ökologisch und sozial nachhaltig bewirtschaftet und man versucht alles zu nutzen, was die Materialien und die Natur hergeben. Wasserkraft beispielsweise liefert Energie, Holzspäne lassen sich noch wunderbar für den Anbau von Shitake-Pilzen verwenden und wenn die Bäume erst im hohen Alter geschlagen werden, ist das Holz für ein Baumhaus oder die Tischlerei perfekt.
Tägliche Glücksgefühle
Design und Alltag gehören in Finnland zusammen. Finnisches Design ist zweckmäßig, nah am Leben, sparsam im Einsatz von Materialien und es lässt uns leichter mit den täglichen Herausforderungen umgehen. Es erinnert uns an unsere innere Stärke und daran, dass wir unsere Lebensenergie aktivieren können. Die Finnen haben hierfür ein Wort, das diese Tatsache und ihre Mentalität sehr treffend beschreibt: Sisu. Allerdings widersetzen sich diese vier Buchstaben einer eindeutigen Übersetzung. Sie sind vielmehr eine Manifestation des finnischen Denkens und Handelns. Vielleicht gelten die Finnen trotz unergründlicher Melancholie und Winterdunkelheit genau deshalb als die glücklichsten Menschen der Welt. Und ein Stück von diesem Glück geben sie mit ihren Designs an uns weiter. Lächeln Sie schon, weil sie ein Déjà-vu haben? Es würde uns nicht wundern.
„Die Finnen sind es gewohnt, gut gestylte Tassen, Besteck, Teller und Möbel zu besitzen. Es ist schon fast die Norm. Nirgends sonst auf der Welt ist Design ein solch integraler Bestandteil des täglichen Lebens und für jedermann da, nicht bloß für die Eliteschicht wie in vielen anderen Teilen der Welt.“
Annamari Vänskä, Forscherin und Dozentin an der Alto Universität im Bereich Design in der finnischen Tageszeitung „Helsingin Sanomat“
Welche finnischen Designer und Marken sollte man kennen?
Von Menschen und Trollen
Fangen wir mal bei A wie Aalto an. Alvar Aalto um genau zu sein. An ihm und seiner Frau Aino kommt man in Finnland, aber auch weltweit nicht vorbei. Sie gelten als Wegbereiter der Moderne, haben Design-Geschichte geschrieben und 1935 zusammen mit Nils-Gustav Hahl und Maire Gullichsen die Marke Artek gegründet. Und neben Ihren berühmten Design-Objekten wie der Savoy-Vase, den Aalto Gläsern und dem Stool 60, waren sie auch mit ihren architektonischen Projekten sehr erfolgreich. Weltberühmt sind auch Keramikschönheiten des finnischen Traditionsunternehmens Arabia, das gerne mit dem wunderschönen Finnisch-Blau arbeitet und schon seit Ende der 1950er eine Mumin-Kollektion hat. Ja, auch die charmanten an ein Nilpferd erinnernden Mumin-Trolle, die die Autorin Tove Jansson 1945 erfand, sind rund um den Globus Kult.
Vom Sitz- und Kochgenuss
Der inzwischen 92-jährige Möbeldesigner Eero Aarnio arbeitet dagegen mit einem ganz anderen Material: Plastik- und Fiberglas. Sein Ball Chair katapultierte ihn 1968 in die erste Design-Liga. Dann wäre da noch die Glasmanufaktur Iittala, ein Unternehmen, das einfach nach dem Ort genannt ist, an dem es entstand, und neben ikonischen Design-Objekten wundervolles, buntes Geschirr und Kochutensilien zu bieten hat. Iittala hat nicht nur die legendäre Aalto-Vase und die Gläser im Programm, sondern auch das Teema Geschirr und die Kartio Gläser von Kaj Franck oder den gusseisernen Sarpaneva-Topf, der nach seinem Schöpfer Timo Sarpaneva benannt ist. Alles bedeutende Namen in Sachen finnisches Designs.
Von Lifestyle und Garten
Eine Ikone ist auch das 1951 von der Textildesignerin Armi Ratia gegründete Lifestyle-Label Marimekko – übrigens eines der ersten –, das mit seinen farbenfrohen, opulenten Drucken, allen voran dem Unikko-Muster, seit jeher für Furore sorgt. Den endgültigen Durchbruch schaffte die Marke dank Jacky Kennedy, die während des Wahlkampfs ihre Mannes Marimekko trug und damit für reichlich Schlagzeilen sorgte. Und zu guter Letzt sollten Sie auch den Namen Fiskars einmal gehört haben. Ja, das sind die mit der oben erwähnten Küchenschere. Und deren orangefarbene Griffe sind bezeichnend für Fiskars-Produkte. Denn Orange ist die Farbe, die sich durch das gesamte Sortiment zieht. Egal ob Messer, Küchen- oder Gartengeräte.
Finnisches Design – unsere Top 3
Natürlich finden Sie auch in unserem Shop Design-Klassiker aus dem Land der tausend Seen. Wir zeigen Ihnen hier drei, die uns immer wieder aufs Neue faszinieren, weil sie diese ganz besondere finnische Mischung aus natürlich, beruhigend und selbstverständlich-schön haben. Und einfach zeitlos sind.
Top 1: der dreibeinige Hocker 60 von Artek
Das Meisterstück von Alvar Aalto ist zwischenzeitlich über 90 Jahre alt, aber der praktische, schnörkellose Hocker, den Sie auch als Beistelltisch, Pflanzenständer oder Percussion-Instrument nutzen können, hat nichts von seinem Charme verloren. Ob es an dem massiven, gebogenen Birkenfurnier liegt, das Hitze und Dampf in die gewünschte Form bringen, an der Unverwüstlichkeit, die schon Aalto 1933 ausgiebig testete, indem er den Hocker mehrfach auf den Boden warf, oder ob es die immer wieder neuen Farben und Farbkombis sind, die Puristen schlichtweg ablehnen. Bei Artek findet jeder seinen Stool 60 Hocker. Und der ist und bleibt Kult, auch wenn er vielleicht nicht das bequemste Sitzmöbel ist.
Und so wird der legendäre Hocker produziert:
WUSSTEN SIE, DASS
– die Birken, die für den Stool 60 verarbeitet werden zwischen 50 und 80 Jahre alt und etwa 20 bis 30 Meter hoch sind?
– die Bäume vor der Verarbeitung erst einmal 1 Jahr geschützt im Freien gelagert werden?
– für die Herstellung des Stool 60 Hockers über 40 Einzelschritte notwendig sind?
– die Sitze der ersten Hocker, die 1934 in Serie gingen, bezogen und mit oder ohne Polsterung erhältlich waren?
– es schon 1934 mit Linoleum veredelte Sitze gab, die aber auch gerne nach Kundenwunsch lackiert wurden?
Top 2: die luftige Octo Pendelleuchte von Secto Design
Das Besondere an dieser Leuchte? Ihr Schirm aus gebogenen Birkenholz-Lamellen. Das gab es vor Secto noch nie. Und auch keine Leuchte, die einen solchen Kokon des Komforts in einem Raum gesponnen hätte. Die Octo schafft eine einzigartige Atmosphäre, zieht die Blicke auf sich, überzeugt mit einem warmen, weichen Licht und fügt sich dennoch optisch harmonisch in den Raum ein. Ein echtes Leuchten-Chamäleon. Und die innovative Nutzung von Holz gepaart mit einzigartiger Handwerkskunst ist genau das, was finnisches Design ausmacht.
Sehen Sie selbst, wie die wundervollen Lichtgeber entstehen:
WUSSTEN SIE, DASS
– der Exportanteil der Secto-Leuchten bei 92 % liegt?
– Secto schon seit 1995 mit dem Architekten und Designer Seppo Kohlo zusammenarbeitet und ihn noch während seines Studiums engagiert hat?
– Seppo Kohlo als einziger Designer wirklich alle Secto Leuchten entwirft?
– die ersten hölzernen Prototypen selber von Kohlo per Hand gefertigt werden?
– Sie die Octo auch dimmen können?
Top 3: die weltberühmte Aalto Vase
Selbst wenn man nicht wie fast jeder Finne eine solche Vase zu Hause hat, gehört hat von diesem edlen Stück, das es in den unterschiedlichsten Farben und Größen gibt, garantiert schon jeder. Eine einfache organische Form, inspiriert von den Wellen der Seen Finnlands, revolutionierte 1936 die Design-Welt. Denn so etwas Funktionalistisch-Modernes hatte es bis dahin nicht gegeben. Etwas so offensichtlich Schönes, an dem man sich nicht sattsehen kann auch nicht. Dabei ist eine Blumenvase doch ein Alltagsgegenstand. Und diese hier ist auch ohne Inhalt eine Augenweide. Genau das war das Anliegen ihres Schöpfers Alvar Aalto, der nicht nur als Designer, sondern auch als Architekt ganz wunderbare Objekte realisierte. Mit dieser Vase kreierte er einen Alltagsgegenstand, der aufs Wesentliche reduziert ist. Schön, handgefertigt und für alle verfügbar. Demokratisch eben, wie die Finnen das lieben.
Die „Geburt“ einer Ikone im Zeitraffer:
WUSSTEN SIE, DASS
– jede Aalto Vase im Werk in Finnland noch heute von Mund geblasen und in Handarbeit gefertigt wird?
– in einer Aalto Vase rund 30 Stunden Arbeit stecken?
– es 7 geschickte Glasbläser braucht, um die Vase herzustellen?
– das Glas bei der Verarbeitung 1100 Grad heiß ist?
– jede Aalto Vase ein Unikat ist?
Helsinki – Stadt der Architektur und des finnischen Designs
Die moderne, europäische Küstenstadt wartet mit vielen Superlativen auf und ist dabei so herrlich bodenständig. Hier vereinen sich Urbanität, Maritimes, Künstlerisches und Natur auf eine ganz besondere Art und auf kleinstem Raum. Und gerade das macht Helsinki so spannend. Man kann sich die kompakte Stadt zu Fuß, per Rad oder auch mit der Straßenbahnlinie 2, mit der man in nur einer Stunde alles sehen kann, was Helsinki zu bieten hat. Und das gemächlich, gemütlich und günstig. Für den ersten Eindruck reicht es auf alle Fälle. Sie können dann ja selbst entscheiden, wo es sie hinzieht.
Die Finlandia Halle von Alvar Aalto mit ihrer weißen Carrara-Marmor-Fassade sollten Sie sich unserer Meinung nach aber ebensowenig entgehen lassen wie die unterirdische Temppeliaukio-Felsenkirche, die Oodi-Bibliothkek oder die Kamppi-Kapelle des Schweigens. Helsinki strotz vor Architektur-Juwelen, modernen wie diesen oder auch neoklassischen wie dem Dom, die Uspenski-Kathedrale oder die Nationalbibliothek. Und natürlich gibt es auch jede Menge spannender Museen, die einen Besuch lohnen.
Ein Muss ist jedenfalls das Design-Viertel, das einmal mehr den Alltagsanspruch dieses Sujets unterstreicht. Hier wird Design im wahrsten Sinne des Wortes gelebt. Und das mittendrin. Welche Stadt hat schon so etwas? 25 Straßen und rund 200 Shops, Galerien und Museen. Zu erkennen am runden, schwarzen Design District-Aufkleber. Denn auf einer Karte suchen Sie das Viertel vergebens. Entstanden ist es aus einer privaten Initiative heraus im ehemaligen Arbeiterviertel Punavuori, dem roten Hügel. Sie können sich treiben lassen oder aber auch einen geführten Design Walk buchen.
Und falls Sie bei all den Aktivitäten ins Schwitzen kommen: Das Leitungswasser in Helsinki hat eine exzellente Qualität. Es kommt aus dem Päijänne-See und wird selbstverständlich gefiltert. Wasser müssen Sie sich hier also nicht extra welches kaufen. Das können Sie sich sparen.
Finnisches Design – die nächste Designer-Generation
Sie sind jung, experimentell und ihre Liebe zum Handwerk ist genauso groß wie die ihrer großen und großartigen Vorgänger, von denen sie sich aber nie provokativ abgrenzen würden. Denn in Finnland sind alle Teil einer großen Design-Familie. Und wie zu Zeiten Alvar Aaltos sind die Grenzen zwischen Architektur und Design auch heute noch fließend. Vielleicht zieht es auch deshalb viele in das Künstlerdorf in Fiskars, wo die Symbiose von 120 Designern, Handwerkern und Künstlern ausgesprochen fruchtbar und entspannt ist. Zwischen Vogelgezwitscher und Bachrauschen ist hier wirklich alles auf das Einfache reduziert.
Einer der jungen Wilden ist Tero Kuitunen, der bei der Vienna Design Week 2019 die Gastlandausstellung Finnlands WILD AT HEART kuratiert hat. Schon als Kind liebte er es, Dinge mit den eigenen Händen zu erschaffen. Beispielsweise eine Miss Piggy aus Lehm, die aber wohl mehr seiner Mutter ähnelte als der Muppet-Figur. Das Geschenk kam denn auch mäßig gut an. Aber genau diese Art von Humor, Ausgelassenheit und Leidenschaft ist es, die unter der zurückhaltenden finnischen Oberfläche steckt und sich in neuen Entwürfen mit einem Augenzwinkern Bahn bricht.
„Ich habe das Gefühl, dass wir in der Zeit einer neuen Design-Renaissance leben, in der Menschen sich freier zwischen kreativen Feldern bewegen können. Kunst und Design nähern sich ständig an.„
Tero Kuitunen im Interview mit dem Finnland-Institut Berlin 2019
Ein schönes Beispiel hierfür ist nicht nur Kuitunens eigener Online-Shop, sondern auch das finnisch-koreanisch Design-Duo Aamu Song und Johan Olin. Beide haben einen Master der Aalto Universität in Helsinki und wurden für ihre verspielt-nützlichen Produkte mehrfach international ausgezeichnet. Sie sind überall auf der Welt unterwegs, suchen den Austausch mit Handwerkern und ihr Skizzenbuch ist immer dabei. Das ist ihr Computer, denn den gibt es in ihrer „Company“ nicht. Stattdessen wird gezeichnet, gebastelt und gemalt. Alles ist im Werden, alles ein Prozess – inspiriert von der Tradition und modern interpretiert.
Also, gehen Sie auf Entdeckungsreise, fahren Sie nach Finnland, lassen Sie sich anstecken von der finnischen Mentalität, die so herrlich unaufdringlich und naturverbunden ist wie das ganze Land und holen Sie sich gleich ein Stück zeitlose finnische Alltagskultur zu sich nach Hause. Ein Klick genügt!